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Channel: Kommentare zu: Frauen, wir haben ein Präsenzproblem!
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Von: Diana Engelhardt

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Liebe Dolores,
ich bin – seit ich auf der Welt gelandet bin im „schrecklichsten Jahr der deutschen Geschichte“ nämlich 1943 nicht weit von Auschwitz geboren – aber aufgrund meines liebevollen Empfanges durch meine Mutter immer schon eine Feministin! Ich freue mich über deinen Beitrag, denn ich wünsche mir die Präsenz aller Frauenjahrgänge. Vor allem einen Austausch an Erfahrungen, damit wir voneinander lernen! Ich brauche jedenfalls Unterstützung von jungen Frauen und kopiere mal meinen Text zum Kennenlernen:
Ich bin also ein Kriegskind. Heute schätze ich Frauengemeinschaft – das war nicht immer so, denn als ich in mein Frauenleben startete empfand ich mich als Einzelkämpferin. Nicht nur aus dem Grund halte ich meine Erfahrungen für exemplarisch, denn viele sogenannte Kriegs- und Nachkriegsmädchen erlebten das ähnlich. Ich persönlich hatte schon die Möglichkeit auf dem 2.ten Bildungsweg Abitur zu machen und zu studieren (große Ausnahme!) – im Gegensatz zu meiner Mutter, die gesetzlich unmündig war und der Bildung verwehrt wurde. Ihr konnte der Ehemann noch die Berufstätigkeit verbieten. Sie musste den ehelichen Pflichten nachkommen, und Abtreibung war verboten. Auch den Kuppelparagraphen musste sie beachten, um mich vor schlimmen Fehltritten zu bewahren … Ich aber in meinem Wissensdurst, Freiheitsdrang und meiner Neugier aufs Leben stolperte sogleich … Ich fiel (gefallenes Mädchen hieß das damals!), weil ich weiblich und ohne Pille war. Ich stolperte aber begeistert, denn ich war neugierig und später fasziniert von dem absoluten Wunder, Leben zu schenken. Natürlich glaubte ich auch, alles alleine schaffen zu können in meiner maßlosen Selbsteinschätzung. In der Rückschau lasse ich alles Schmerzhafte beiseite und versichere: Ich habe erfahren, welche Einschränkungen der Zeitgeist, Moralzwänge und die Politik für Frauen der 50er, 60er und 70er Jahre bereithielt! Wir – jede allein auf ihrem Platz – verschlangen zwar die provokanten Schriften Simone de Beauvoirs und unterstützten die Forderungen Alice Schwarzers (in lila Latzhosen) so oft es ging. Aber es ging nicht oft. Leider hatte ich in den 68ern keine Zeit für Gruppensex mit Pille, noch die Gelegenheit vor Adorno die Bluse zu lupfen, auch meinen BH verbrannte ich nicht, stattdessen wusch ich Stoffwindeln, bestickte Schlabberlätzchen und lernte kochen, kämpfte um die Scheidung und vor allem um meine Kinder, und gegen andere widrige Umstände! Nebenher studierte ich weiter und hatte keinen Anschluss an Frauen in ähnlicher Lage. Unsere Töchter sahen uns dann mitleidig an allen Fronten zu, halfen uns zwar, verfolgten auch die Fortschritte an der Geschlechterfront der 80er, achteten brav auf weibliche Sprachformen und verließen dann den Kampfplatz. Sie waren aber so gewitzt, sich die passenden Berufe und die passenden Männer für ihre jeweiligen Lebensentwürfe auszusuchen, sie waren schon Alphamädchen und hatten alle Wahlmöglichkeiten… Sie hielten den Kampfplatz der Geschlechter für befriedet und erfreuten sich an unseren Erfolgen, so weit so gut. Sie wurden Mütter und wir Großmütter. Wir freuten uns mit und helfen immer noch, wo wir können, denn Kinder (und Enkelkinder) werden krank, von den sonstigen Organisations- und Finanzschwierigkeiten abgesehen. Unsere Enkelinnen halten den Feminismus überflüssiger als Fäustlinge im Sommer, bestenfalls so merkwürdig wie ihre O-Mama, die sie mit Nachsicht und Milde betrachten… sie haben die Jungs fest im Griff – so lange, bis sie eventuell an unsichtbare Wände oder gläserne Decken stoßen, sei es im Beruf, in der Wissenschaft oder sonst wo trotz ihren gut ausgebildeten Fähigkeiten und hoffnungsvollen Plänen… Sie werden, wenn sie patriarchales Machtgehabe entdecken oder wenn sie sonstiges Unrecht bemerken, welches Frauen dauernd weltweit geschieht, die Ärmel hochkrempeln, es entlarven und zu beseitigen helfen. Sie werden sich vielleicht auch unbemerkt in staubigen Schlingen männlicher Zirkel und Männerbünden verheddern, doch hoffentlich mit eigenen solidarischen Netzwerken antworten, sich mit wohlmeinenden Kollegen verbünden und voneinander lernen, weil die Emanzipation der Männer noch aussteht. Sie werden alles dies zeigen und ausleben, was sie von uns lernen durften, und noch viel mehr als sogenannte neue F-Klasse. Sie wissenja: Männer zeugen, Frauen gebären, alles andere könn(t)en beide… Eines ist dabei zu beachten, für eine Frau, die den Anspruch hat, aus ihrem Leben das Beste zu machen, gibt es keine Alternative dazu, selbst zu denken, selbst zu lernen, selbst zu verändern. Kurz: die Verantwortung für das Leben selbst zu übernehmen. Das ist anstrengend, und es erfordert leider noch einige sprachliche, politische und gesellschaftliche Veränderungen, und weil ich weiß, dass zu jeder Veränderung Wissen gehört, denke ich: Klug sein ist nicht blöd!
Und darum: Bitte schafft einen sichtbaren Raum für uns alle!
Diana Engelhardt
(Lest auch auf beziehungsweise-weiterdenken „Die Krankheit, die Teil meines Lebens wurde“ und bitte wendet euch an mich, ich schreibe unentwegt für Frauen und lehre Frauengeschichte
im Rahmen meiner Möglichkeiten!)


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